Niebüll (spa) – Unser Chefreporter für Stillstandsmanagement, Heinz Gude, befindet sich derzeit zu einer spontanen „Bahnsteig-Qualitätsprüfung“ am Bahnhof Niebüll. Eigentlich wollte er nur den entgleisten Autozug begutachten, doch dann wurde er Zeuge eines wahren Aktes der Nächstenliebe seitens der Deutschen Bahn.
Ein Kommentar von SPA-Redakteur und Bahnsteigkanten-Inspektor Heinz Gude
Es sind bewegende Szenen, die sich hier abspielen. Ich stehe seit 75 Minuten auf Gleis 3 und messe durch intensives Anstarren die Abnutzung der Pflastersteine, als plötzlich Unruhe aufkommt. Nebenan liegt ein Autozug-Waggon im Schotter wie ein Käfer auf dem Rücken. Nichts geht mehr für die Sylt-Urlauber.
Doch dann der Schock: Mein Regionalexpress, die berüchtigte Marschbahn, hätte eigentlich freie Fahrt. Das Gleis ist frei. Die Signale könnten auf Grün stehen. Eine Katastrophe bahnte sich an: Wir Pendler drohten, pünktlich – ich wiederhole: PÜNKTLICH – an den gestrandeten Autozug-Fahrern vorbeizufahren.
Das wäre eine soziale Ungerechtigkeit, die den Frieden in Nordfriesland nachhaltig zerstört hätte. Man kann doch nicht den Polo-Fahrer im RE6 fröhlich winkend an dem armen, festsitzenden Familienvater im Passat vorbeiziehen lassen! Wo bleibt da die Fairness?
Doch die Bahn hat reagiert. Blitzschnell. Heldenhaft.
Gerade als die Gefahr einer pünktlichen Abfahrt am größten war, schepperte die rettende Durchsage aus den Lautsprechern: „Technische Störung an einem Bahnübergang.“
Ein kollektives Aufatmen geht durch die Menge der Wartenden am Bahnsteig. Wir müssen nicht fahren! Wir dürfen warten! Aus purer Solidarität mit dem Autozug wurde auch unser Zug lahmgelegt. Das ist wahre Inklusion.
Gerührt von so viel Service-Gedanken schleppe ich mich zum Fahrkartenautomaten. Es fühlt sich falsch an, dieses Premium-Erlebnis der absoluten Entschleunigung zum Standardtarif zu konsumieren. Während andere Reisende naiv nach Fahrgastrechten rufen, habe ich mir soeben freiwillig einen 1.-Klasse-Aufschlag für die Rückfahrt gelöst, den ich sofort zerknüllt habe – als kleine, freiwillige „Verspätungsgebühr“.
Qualität hat eben ihren Preis. Wer garantiert einem heutzutage noch, dass man wirklich zwei Stunden lang ungestört in der nordfriesischen Kälte stehen darf, ohne von lästigen Transportdienstleistungen unterbrochen zu werden? Eben. Hier nimm mein Geld, Bahn. Du hast es dir verdient.

